Die Wahrheit in mir

 

Wer hat euch das selber denken beigebracht?

Bei mir war es mein Opa. Er war es, der mich dazu motiviert hat, genauer hinzuschauen und nachzufragen. Als Kind plappert man einfach das nach, was die Erwachsenen sagen und fragt nicht nach der Wahrheit. Ohne zu fragen, glaubt man ihren Wahrnehmungen, ihren Interpretationen und ihren Sichtweisen. Man geht davon aus, dass sie wissen, was sie sagen und tun, denn sie sind die Großen und man selbst ist noch klein, unerfahren und dumm. Ihre Wahrheiten sind es, die das Leben bestimmen und die man bedingungslos glaubt. Selbst wenn man als Kind etwas wahrgenommen hat – und das tut man sehr wohl  – wird es schnell von den Erwachsenen als Quatsch abgetan. „Rede doch nicht so ein dummes Zeug, du hast ja keine Ahnung!“, heißt es dann. Die eigene Wahrheit ist hinfällig, sobald man sie geäußert hat. Was bleibt, ist ein ungutes Gefühl und eine Frage. Stimmt das wirklich, was sie sagen, fragt man sich dann.

 

Wer Glück hat, hat vielleicht irgendwann ein Gegenüber, das bereit ist, die aufkommenden Fragen zu beantworten. Eines, das einem lehrt, dass das, was man fühlt, doch nicht nur Hirngespinste, sondern die eigene Wahrheit ist. Es braucht jemanden, der einen in der eigenen Unsicherheit auffängt, es erlaubt, die Perspektive zu wechseln und darin bestärkt, sich selbst zu vertrauen.

 

Es war mein Opa, der mich lehrte, nicht einfach alles zu glauben. Ich weiß es noch wie heute, denn es war ein Moment, den ich nie vergessen werde. Damals hockte ich vor ihm, stützte meine Hände auf seine Knie, während er in seinem alten abgeschabten Ohrensessel saß und mir tief und eindringlich in die Augen schaute. Dann sagte er: „Nimm all das, was du hörst oder liest nicht als Wahrheiten an, denn es sind nur die Wahrheiten der anderen. Nimm es als Anregungen nachzudenken und frage dich selbst, was du dazu fühlst. Bewege das, was du hörst in deinem Inneren und trage deine Meinung nicht vor dir her. Höre genau zu und schaue genau hin, dann entdeckst du eine Wahrheit in dir, die sich hinter der Fassade, die vor allem steht, verbirgt!“

 

Mein Opa war ein einfacher Mann und liebte die Natur. Er war klar und leise und seiner Zeit weit voraus. Noch heute höre ich seine weise Stimme in meinem Inneren und bin sehr dankbar dafür.

 

Ich wünsche allen Menschen einen besinnlichen und leisen Übergang in das neue Jahr. Ein Jahr, in dem jeder dem Kind in sich erlauben möge, Fragen zu stellen und nach Antworten zu suchen, sich erlauben möge, seinen eigenen Wahrnehmungen zu vertrauen und die eigene Wahrheit zu finden.

 

Mitgefühl in dunklen Tagen