Perspektivlos

Kürzlich besuchte ich eine Kleinstadt, um dort etwas einzukaufen. Sicher, ich hätte es auch online kaufen können, doch es liegt mir daran, in dieser schweren Zeit den lokalen Einzelhandel zu unterstützen, sodass er, wenn irgendwann irgendeine Form von Normalität zurückkehren sollte, noch existiert und ich nicht nur vor Ladenruinen stehe und mit meinen Anliegen ins Leere laufe. An diesem Tag im Lockdown „light“ schien es zumindest das Wetter gut mit mir zu meinen. Die Wintersonne wärmte mich und durchlichtete die trübe Zeit. Ich lief an einigen Geschäften der Altstadt vorüber und fühlte mich sogar einen kleinen augenblicklang fast so wie früher - unbeschwert und leicht. Doch als ich in die Schaufenster der Geschäfte blickte, sah ich das, was anders war. Gähnende Leere fasste mich an. Nicht einmal die Ladenbesitzer hatten sich in Erwartung eines Kunden hinter dem Kassentresen positio

 

Als ich mich der eigentlichen Fußgängerzone näherte, sah ich schon von weitem das blaue Schild, das auf die Maskenpflicht hinweist. Ich kramte meine Maske aus der Manteltasche und setzte sie mit wenig Überzeugung auf, denn schließlich war ich an der frischen Luft und fast allein. Wen hätte ich vor mir schützen sollen? Einige wenige Menschen stromerten verloren durch die Einkaufskulisse. Ein merkwürdiges Bild, denn eine Einkaufsstraße ohne Käufer ist wie ein Wald ohne Bäume, aber beides gehört wohl zu unserer derzeitigen Realität. Die Wenigen, die mir entgegenkamen, richteten den Blick zu Boden, und obwohl sie ihre Augen senken, sah ich doch die Betrübtheit darin. So gut es ging, versuchte ich mich nicht daran zu stören, nicht daran, dass ich im Freien eine Maske tragen musste und auch nicht, dass denen, die mir entgegenkamen, jegliche Freude fehlte.

 

Ein alter Mann saß am Rande eines menschenleeren Platzes auf einer Bank. Die hellblaue Maske, die er unter das Kinn geschoben hatte, war der einzige Farbfleck an der ansonsten tristen Erscheinung. Er saß allein, den Rücken leicht gebeugt. Seine freudlosen Augen blickten in die Ferne. Ich war froh um mein Ziel und ging geradlinig darauf zu.

 

Gerne hätte ich, wie ich es sonst bei einem Stadtbesuch tat, einen Kaffee getrunken. Gerne hätte ich in all der Bedrückung meine Seele einen augenblicklang baumeln lassen. Gerne hätte ich den vorbeiflanierenden Menschen zugesehen, ein Lachen gehört. Doch weit gefehlt, denn alles, was das Herz erwärmen könnte, ist derzeit verboten und wie zum Beweis kreuzten drei Polizisten in voller Montur meinen Weg. Mit strengem Blick schauten sie die Vorbeikommenden an, schauten, ob diese sich regelkonform verhalten oder ein Vergehen gegen die Maßnahmen vorliegt und ein Bußgeld verhängt muss.

 

Zu nah, zu viele und keine Maske lauten die schwerwiegenden Vergehen dieser Zeit. Irritiert schaute ich auf die Pistolen, die in den Halftern über den Hüften der Polizisten thronten und wurde das Gefühl nicht los, dass diese offenkundig zur Schau gestellt wurden. Mein Mund wurde trocken. Ich schluckte und dachte an den alten Mann auf der Bank.

 

Ewas regte sich in mir. Was passiert hier gerade, fragte ich mich? Meine Fassung schwand, als ich zum Auto zurückkehrte. Tränen stiegen auf und überschwemmten meine Augen. Ich kam mir vor wie in einem schlechten Film, dessen Handlung ich nicht verstand.

 

Kann man sich mit einem Bußgeld von der Einsamkeit freikaufen? Tut man den alten Menschen wirklich Gutes, wenn man eine gesamte Gesellschaft in den Lähmungszustand versetzt? Hat man sie je dazu befragt? Und wie soll es weitergehen? Einsperren - raus lassen - einsperren, solange bis im Mai die Erkältungssaison endet? Oder setzten wir mit blindem Eifer auf eine einzige Möglichkeit, deren Langzeitwirkung wir nicht im Geringsten abschätzen können? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, wie es sich für mich anfühlt.

 

 

Innen wie außen - Die Pandemie in uns!